Kindheit unter deutscher Besatzung in Griechenland 1941-1944
Allgemeine Informationen und kurze Einordnung in den historischen Kontext
Die Unterrichtseinheit Kindheit unter deutscher Besatzung in Griechenland 1941-1944 thematisiert die besondere Situation der damaligen Kinder und Jugendlichen in Griechenland, die von den Folgen der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland geprägt war. Die Einnahme Griechenlands durch die deutsche Wehrmacht im Frühjahr 1941 und die vollständige Eroberung des Landes bedeutete für die griechische Gesellschaft einen enormen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und gesellschaftlichen Niedergang. Das ohnehin schon wirtschaftlich stark geschwächte Land, das die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, Medikamenten und Gütern des täglichen Bedarfs kaum gewährleisten konnte, geriet durch eine rigorose Politik der Ausbeutung und Konfiszierung durch die deutsche Besatzungsmacht sowie durch die britische Seeblockade in eine humanitäre Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. Die Kleinsten, die Kinder, waren die größten Opfer dieser unmenschlichen Besatzungspolitik. Diese traumatischen Erfahrungen haben sich tief in das kollektive Bewusstsein der griechischen Bevölkerung eingegraben und sind bis heute, besonders in den zahlreichen Märtyrergemeinden* lebendig. Die Zeitzeuginnen/der Zeitzeuge dokumentieren das Ausmaß dieser Katastrophe in ihren Erinnerungen, die sie diese in der Lerneinheit mit den Schülerinnen/Schülern teilen.
* Offizielle Bezeichnung für griechische Gemeinden, die Opfer von deutschen Kriegsverbrechen und Sühnemaßnahmen wurden.
Die Unterrichtseinheit fokussiert im Rahmen der inhaltlichen Auseinandersetzung die Lage der Kinder. Die Schüler/-innen begegnen Zeitzeuginnen/Zeitzeugen, die im Zeitraum zwischen 1941 und 1944 Kinder beziehungsweise Jugendliche waren. Die lebensgeschichtlichen Interviews beschreiben die traumatischen Erlebnisse und Erfahrungen, denen Kinder hilflos ausgeliefert waren, und schildern diese in authentischer und unmittelbarer Weise. Die Schüler/-innen treten in der thematischen Auseinandersetzung mit den Zeitzeuginnen/dem Zeitzeugen in Dialog und erlernen Geschichte aus persönlich erlebter Erfahrung.
Kurze Erläuterungen zu den Zeitzeuginnen/dem Zeitzeugen
Die Unterrichtseinheit bietet drei unterschiedliche Zeitzeugeninterviews zum Thema Kindheit in einer Länge von ca. 25 Minuten. Dabei kommen sowohl Frauen als auch Männer aus unterschiedlichen Regionen Griechenlands unterschiedlichen Alters, familiären, religiösen, ideologischen Hintergrunds und unterschiedlicher Bildung zu Wort.
Im Mittelpunkt der Einheit Kindheit unter deutscher Besatzung stehen drei zentrale Personen, in unserem Fall Dimitra Roubessi, Eleni Georganta-Savvatianou und Heinz Kounio. In neun thematisch ausgewählten Videoabschnitten schildern die drei Interviewten unterschiedliche Erfahrungen aus ihrer Kindheit während der deutschen Besatzungszeit. Sie erzählen vom mutigen und selbstlosen Widerstand gegen die deutschen Besatzer, von Verfolgung und Verschleppung, von Verlust und Trennung, von Bombardierung und sinnloser Zerstörung, von ihren Ängsten, ihrer Verzweiflung, aber auch von ihren Träumen und Hoffnungen. Allen gemeinsam ist die Erfahrung der Grausamkeit und Unmenschlichkeit. Für die Kinder macht der Krieg keinen Sinn. Er beraubt sie ihrer Kindheit, ihrer Familien und ihrer Perspektiven und hinterlässt eine völlig traumatisierte Generation von jungen Menschen, die mit ihrem kaum zu bewältigenden Schicksal alleingelassen werden. Viele von ihnen können und wollen darüber viele Jahrzehnte hinweg nicht reden und brechen erst im fortgeschrittenen Alter ihr Schweigen.
Zur Bedeutung der Oral History
Ein zentrales Element der Unterrichtseinheit bilden die lebensgeschichtlichen Interviews der drei Zeitzeugen. Anders als in Geschichtsbüchern erleben Schüler/-innen Geschichte aus der Erzählung von Zeitzeuginnen/Zeitzeugen als sehr lebendig, da die Zeitzeugenvideos ein Erfassen und Wahrnehmen der Geschichte „mit verschiedenen Sinnen“* ermöglicht. „Mimik und Gestik tragen zur Lebendigkeit“* und Authentizität der Erzählung der Zeitzeuginnen/des Zeitzeugen bei. Die Schüler/-innen erleben aber auch die emotionale Verfassung und Reaktionen der Zeitzeuginnen/des Zeitzeugen, reflektieren diese, erfassen und beurteilen die Folgen traumatischer Verletzungen in der Kindheit für das spätere Leben.
*Martin, Angela / Pagenstecher, Cord, Zwangsarbeit 1939-1945, Erinnerung und Geschichte, Zeitzeugeninterviews für den Unterricht, Lehrerheft, S. 17, Freie Universität Berlin, Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.).
Zur Intention
Intention dieser Lerneinheit ist es unter anderem, deutschen Schülerinnen/Schülern dieses in deutschen Schulbüchern und Lehrplänen völlig unbekannte Thema in digitaler Wissensvermittlung durch die Auseinandersetzung mit griechischen Zeitzeuginnen/Zeitzeugen zugänglich zu machen. Dass die nationalsozialistische Besatzungspolitik in Griechenland ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur ist, wurde lange Zeit aus dem offiziellen Erinnern an den Nationalsozialismus in Deutschland ausgeblendet. Die Bildungsplattform ermöglicht in didaktisch ansprechender und anschaulicher Weise eine Annäherung an dieses besondere Thema, mit dem Ziel, den historischen Kenntnisstand über die deutsche Okkupation in Griechenland zu heben, um auf diesem Weg Verständnis, Toleranz, Solidarität und Respekt, wichtige Grundpfeiler einer Zivilgesellschaft, zu fördern.
Zum didaktischen Konzept und Aufbau der Unterrichtseinheit
Die Arbeitsaufgaben dienen der strukturierten Auseinandersetzung mit den lebensgeschichtlichen Interviews unter unterschiedlichen Aspekten und Anforderungsniveaus, die im didaktischen Kommentar ausgewiesen sind. Der didaktische Aufbau der Fragestellungen erfolgt dabei nach dem Schema: Kennenlernen, Vertiefen, Diskutieren und weiterführende Aufgaben.
Der Fragenkomplex Kennenlernen nimmt auf die Schilderungen und Erlebnisse der Zeitzeuginnen/des Zeitzeugen direkt Bezug und intendiert eine erste Begegnung mit deren Persönlichkeit sowie ein intellektuelles und emotionales Erfassen und Verstehen des Erzählten durch die Schüler/-innen. Das Kennenlernen ist Voraussetzung für alle weiteren vertiefenden Fragestellungen.
In der Vertiefungsphase steht den Schülerinnen/Schülern eine Bandbreite unterschiedlicher Fragestellungen zur Verfügung, die teilweise inhaltlich aufeinander aufbauen und daher chronologisch bearbeitet werden müssen. Hinweise diesbezüglich finden sich in den didaktischen Kommentaren. Darüber hinaus gibt es in der Vertiefungsphase auch Wahlaufgaben, die Einzelaspekte (besondere Erfahrungen, Entscheidungssituationen oder Handlungen der Zeitzeuginnen/des Zeitzeugen) vertiefen und diese in den historischen Kontext einordnen, sodass die Schüler/-innen einen umfassenden und lebendigen Einblick in die historischen Ereignisse und Lebensumstände der griechischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg erhalten. Die Aufgabenformate unterstützen und fördern eine selbstständige, kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit der Geschichte Griechenlands in den Schilderungen der Zeitzeuginnen/des Zeitzeugen. Sie stellen aber auch Gegenwartsbezüge her, indem die Gegenwärtigkeit historischer Themen im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs präsent wird. In diesem Sinne finden die Schüler/-innen ausgehend von der Auseinandersetzung mit den lebensgeschichtlichen Interviews die Möglichkeit, sich mit aktuellen gesellschaftlichen Themen wie der Gleichstellung der Frau im heutigen Griechenland bzw. europaweit oder mit dem Phänomen rechtsextremer Gesinnung in der europäischen Parteienlandschaft und den Zielen und Vorstellungen in diesen Parteien zu beschäftigen.
Eine weiterführende thematische Vertiefung bildet das Thema Kinderrechte, deren Aktualität den Schülerinnen/Schülern in den Medien durch die Berichterstattung über das Kriegsgeschehen in Syrien und anderen Teilen der Welt oder über die Flüchtlingsproblematik, die gerade Griechenland vor eine große Herausforderung stellt, besonders präsent ist und zu einer kritischen und problemorientierten Auseinandersetzung herausfordert. Vor diesem Hintergrund artikulieren die Kinderstimmen aus dem Jemen die Bedürfnisse der Kinder in einem Land, das im Schatten der Weltöffentlichkeit seit 2011 einen blutigen Bürgerkrieg führt.
Das didaktische Konzept der Lernplattform orientiert sich an den Prinzipien der Multiperspektivität, Kontroversität, Alterität und Pluralität in der Vermittlung von Geschichte.
Die Zeitzeuginnen/Zeitzeugen betrachten aus ihrer jeweils besonderen Perspektive dasselbe historische Ereignis in ihren individuellen Lebenserfahrungen. Dies verdeutlicht den Schülerinnen/Schülern, dass „jede historische Sinnbildung ein perspektivisches Konstrukt ist, weil auch der Blick auf die Vergangenheit wiederum vom Standort, den Erfahrungen, Interessen oder Absichten des jeweiligen Betrachters abhängig ist.“ *
*Lehrplan Geschichte, Thüringen 2016, https://www.schulportal-thueringen.de/media/detail?tspi=2839, Stand: 03.11.2019.
Schüler/-innen werden in dieser Unterrichtseinheit durch die kritische und eigenständige Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Zeitzeugenberichten in besonderer Weise in ihrem historischen Urteilsvermögen gefördert.
Somit zielt die Lerneinheit auf eine besondere Entwicklung unterschiedlicher Kompetenzen (Sach-, Methoden- und Sozialkompetenz) von Schülerinnen/Schülern durch die Oral History ab.