Konzentrationslager und Zwangsarbeit
Allgemeine Informationen und kurze Einordnung in den historischen Kontext
Die Unterrichtseinheit Griechinnen/Griechen in Konzentrationslagern und Zwangsarbeit thematisiert die wenig erforschte Deportation von überwiegend jüdischen und widerständigen Griechinnen/Griechen zur Zeit der deutschen Besatzung Griechenlands. In Griechenland selbst betrieben die Besatzer 35 Konzentrationslager, in denen gefoltert und hingerichtet wurde und die teilweise für die Deportation der Gefangenen in Lager auf dem Boden des Deutschen Reichs Durchgangsstationen waren. Die inhaftierten Griechinnen/Griechen tauchen in der Statistik häufig als „Sonstige“ auf. Dies liegt sowohl an den geringen Zahlen gemessen an denen anderer Herkunft als auch daran, dass dieses Kapitel der Geschichte in Griechenland selbst noch Aufarbeitung bedarf. Ein Beispiel ist das KZ Neuengamme: Über 1.000 Griechinnen/Griechen waren hier inhaftiert, während nur 90 namentlich bekannt sind. Umso wichtiger sind die Aussagen der noch wenigen lebenden Zeitzeuginnen/Zeitzeugen, die Orte, Namen und Ereignisse benennen können, denen Historikerinnen/Historiker dann nachgehen.
Die Deportation und Vernichtung der griechischen Jüdinnen/Juden als Teil der von den Nationalsozialisten betriebenen „Endlösung“ begann im März 1943. Sie dauerte bis August 1944. Von den 71.611 Juden, die vor Kriegsbeginn in Griechenland lebten, fanden insgesamt 58.886 in den deutschen Vernichtungslagern den Tod. Verglichen mit der Vorkriegsbevölkerung im okkupierten Europa, ist diese Zahl einzigartig hoch.
Die Unterrichtseinheit nimmt die Lage der griechischen Häftlinge in den Blick. Die Zeitzeugin/Zeitzeugen waren zum Zeitpunkt ihrer Deportation Jugendliche oder junge Erwachsene. In den lebensgeschichtlichen Interviews erzählen sie von traumatischen Erlebnissen, die bis heute in ihr Leben hineinwirken. Sie betonen ihrerseits die Notwendigkeit der Dokumentation dieser Ereignisse und sind bereit, sie bis ins schmerzhafte Detail zu teilen. Dies schafft eine unmittelbare Nähe zu den erzählenden Personen und erlaubt den Schülerinnen/Schülern, Geschichte auf diese Weise zu verfolgen.
Kurze Erläuterungen zu der Zeitzeugin/den Zeitzeugen
Die Unterrichtseinheit bietet drei unterschiedliche Zeitzeugeninterviews zum Thema Kindheit in einer Länge von ca. 25 Minuten. Dabei kommen sowohl Frauen als auch Männer aus unterschiedlichen Regionen Griechenlands unterschiedlichen Alters, familiären, religiösen, ideologischen Hintergrunds und unterschiedlicher Bildung zu Wort.
Im Mittelpunkt der Einheit Griechinnen/Griechen in Konzentrationslagern und Zwangsarbeit stehen vier Personen, in unserem Fall Herr Kounio, Herr Kokkinos, Frau Nachmia und Herr Skaltsas. In den thematisch ausgewählten Videoabschnitten schildern sie unterschiedliche Erfahrungen aus ihrer Jugend vor und während der deutschen Besatzungszeit. Sie erzählen vom mutigen und selbstlosen Widerstand gegen die deutschen Besatzer, von Verfolgung und Verschleppung, von Verlust und Trennung, von ihren Ängsten, ihrer Verzweiflung, aber auch von ihren Träumen und Hoffnungen. Sie alle eint die Erfahrung der Inhaftierung, verbunden mit der unmittelbaren Angst vor der Ermordung durch die Deutschen und der Deportation ins Ungewisse. Alle wurden auf dem Boden des Deutschen Reiches eingesperrt und sind lebende Zeuginnen/Zeugen von Zwangsarbeit, Folter und Massenvernichtung.
Insofern ist es besonders bei diesem Thema notwendig, die Schüler/-innen zu sensibilisieren und bei der Bearbeitung der Aufgaben zu begleiten, ihnen die Möglichkeit zum Austausch zu geben oder auch zu einer Auszeit.
Zur Bedeutung der Oral History
Ein zentrales Element der Unterrichtseinheit bilden die lebensgeschichtlichen Interviews der vier Zeitzeuginnen/Zeitzeugen. Anders als in Geschichtsbüchern erleben Schüler/-innen Geschichte aus der Erzählung von Zeitzeuginnen/Zeitzeugen als sehr lebendig, da die Zeitzeugenvideos ein Erfassen und Wahrnehmen der Geschichte „mit verschiedenen Sinnen“* ermöglicht. „Mimik und Gestik tragen zur Lebendigkeit“* und Authentizität der Erzählung der Zeitzeugin/Zeitzeugen bei. Die Schüler/-innen erleben aber auch die emotionale Verfassung und unterschiedliche Reaktionen der Zeitzeugin/Zeitzeugen, reflektieren diese, erfassen und beurteilen die Folgen traumatischer Verletzungen in der Kindheit für das spätere Leben.
* Martin, Angela / Pagenstecher, Cord, Zwangsarbeit 1939-1945, Erinnerung und Geschichte, Zeitzeugeninterviews für den Unterricht, Lehrerheft, S. 17, Freie Universität Berlin, Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.).
Zur Intention
Intention dieser Lerneinheit ist es unter anderem, deutschen Schülerinnen/Schülern dieses in deutschen Schulbüchern und Lehrplänen völlig unbekannte Thema in digitaler Wissensvermittlung durch griechische Zeitzeuginnen/Zeitzeugen zugänglich zu machen. Dass die nationalsozialistische Besatzungspolitik in Griechenland ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur ist, wurde lange Zeit aus dem offiziellen Erinnern an den Nationalsozialismus in Deutschland ausgeblendet. Die Bildungsplattform ermöglicht in didaktisch ansprechender und anschaulicher Weise sich diesem besonderen Thema mit dem Ziel anzunähern, den historischen Kenntnisstand über die deutsche Okkupation in Griechenland zu heben, um auf diesem Weg Verständnis, Toleranz, Solidarität und Respekt, wichtige Grundpfeiler einer Zivilgesellschaft, zu fördern.
Zum didaktischen Konzept und Aufbau der Unterrichtseinheit
Die Arbeitsaufgaben dienen der strukturierten Auseinandersetzung mit den lebensgeschichtlichen Interviews unter unterschiedlichen Aspekten und Anforderungsniveaus, die im didaktischen Kommentar ausgewiesen sind. Der didaktische Aufbau der Fragestellungen erfolgt nach dem Schema: Kennenlernen, Vertiefen, Diskutieren und weiterführenden Aufgaben.
Der Fragenkomplex Kennenlernen nimmt auf die Schilderungen und Erlebnisse der Zeitzeugin/Zeitzeugen direkt Bezug und intendiert sowohl eine erste Begegnung mit deren Persönlichkeit sowie ein intellektuelles und emotionales Erfassen und Verstehen des Erzählten durch die Schüler/-innen. Das Kennenlernen ist Voraussetzung für alle weiteren vertiefenden Fragestellungen.
In der Vertiefungsphase steht den Schülerinnen/Schülern eine Bandbreite unterschiedlicher Fragestellungen zur Verfügung, die inhaltlich teilweise aufeinander aufbauen und daher chronologisch bearbeitet werden müssen. Hinweise diesbezüglich finden sich in den didaktischen Kommentaren. Darüber hinaus gibt es in der Vertiefungsphase auch Wahlaufgaben, die Einzelaspekte (besondere Erfahrungen, Entscheidungssituationen oder Handlungen der Zeitzeugin/Zeitzeugen) vertiefen und diese in den historischen Kontext einordnen, sodass die Schüler/-innen einen umfassenden und lebendigen Einblick in die historischen Ereignisse und Lebensumstände der griechischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg erhalten. Die Aufgabenformate unterstützen und fördern über die Schilderungen der Zeitzeugin/Zeitzeugen eine selbstständige, kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit der Geschichte Griechenlands. Sie stellen aber auch Gegenwartsbezüge her, indem die Gegenwärtigkeit historischer Themen im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs präsent gemacht wird.
Häufig sind die Aufgaben so angelegt, dass dem individuellen Blickwinkel der Zeitzeugin/Zeitzeugen eine Einbettung in den größeren historischen Zusammenhang folgt, also vom Exemplarischen ins Allgemeine geblendet wird.
Eine weiterführende thematische Vertiefung bildet das Thema Zwangsarbeit. Dass in Deutschland viele, teils noch heute existente und florierende Unternehmen vom deutschen Lagersystem profitierten, ist mittlerweile bekannt. Da die Aufarbeitung dieses Kapitels der deutsch-griechischen Geschichte in Griechenland, bedingt durch den anschließenden Bürgerkrieg und die später folgende Militärdiktatur lange Zeit blockiert war, wurde die Rolle der Griechinnen/Griechen in der Zwangsarbeit kaum beleuchtet und die Betroffenen selten an Entschädigungszahlungen beteiligt. In diesem Sinne finden die Schüler/-innen ausgehend von der Auseinandersetzung mit den lebensgeschichtlichen Interviews die Möglichkeit, sich mit der Aufarbeitung der Geschichte der NS-Zwangsarbeit zu beschäftigen und in einer Kampagne selbst auf kreative Weise aktiv zu werden.
Das didaktische Konzept der Lernplattform orientiert sich an den Prinzipien der Multiperspektivität, Kontroversität, Alterität und Pluralität in der Vermittlung der Geschichte. Die Zeitzeugin/Zeitzeugen betrachten aus ihrer jeweils besonderen Perspektive dasselbe historische Ereignis in ihren individuellen Lebenserfahrungen. Dies verdeutlicht den Schülerinnen/Schülern, dass „jede historische Sinnbildung ein perspektivisches Konstrukt ist, weil auch der Blick auf die Vergangenheit wiederum vom Standort, den Erfahrungen, Interessen oder Absichten des jeweiligen Betrachters abhängig ist.“ *
*Lehrplan Geschichte, Thüringen 2016, https://www.schulportal-thueringen.de/media/detail?tspi=2839, Stand: 03.11.2019.
Schüler/-innen werden in dieser Unterrichtseinheit durch die kritische und eigenständige Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Zeitzeugenberichten in besonderer Weise in ihrem historischen Urteilsvermögen gefördert.
Somit zielt die Lerneinheit auf eine besondere Entwicklung unterschiedlicher Kompetenzen (Sach-, Methoden- und Sozialkompetenz) von Schülerinnen/Schülern durch die Oral History ab.