Entschädigungen
Neben der Anerkennung des Leids, welches während der deutschen Besatzung Griechenlands zugefügt wurde, gehört zur moralischen Wiedergutmachung gegenüber den Opfern die Zahlung der Reparationen und Entschädigungen sowie die Rückgabe geraubter antiker Kunstschätze. Der Überlebende des Massakers von Distomo, Argyris Sfountouris, erklärte, dass „die Kriegsreparationen Teil eines wichtigen internationalen Moralkodex sind, welche großen Einfluss auf die Zukunft der Menschheit haben wird. Der Sinn von Kriegsentschädigungen war und ist in erster Linie die langfristige und vollständige Verhinderung kriegerischer Handlungen durch Staaten. Nur wenn Kriege sich nicht mehr rentieren, wird es auf der Welt Frieden geben können. Das ist der wesentliche Sinn und Zweck bei vielen Entschädigungen, so wie es bereits seit 100 Jahre das Völkerrecht regelt“.
I. Griechenland hat seit Ende des Zweiten Weltkrieges Entschädigungs- und Reparationsforderungen gegenüber Deutschland gestellt. Die Verpflichtungen Deutschland gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus ergeben sich aus folgenden Beschlüssen und Verträgen:
1) Die Ansprüche Griechenlands aus dem Pariser Reparationsabkommen (1945) beschränkten sich auf die materiellen Verluste des Landes. Nach Rechnungen der Alliierten erhielt dabei Griechenland eine reale Summe von 7,181 Milliarden Dollar zugesprochen.
2) Von wesentlicher Bedeutung war das Londoner Schuldenabkommen (1953), welches die Wiedervereinigung Deutschlands zur Voraussetzung für Entschädigungszahlungen machte. Die Alliierten entschlossen sich inmitten des Kalten Krieges zu einer Unterstützung der Bundesrepublik und froren dabei gleichzeitig die Reparationsfrage ein. Die Alliiertenkonferenz unter britisch-amerikanischer Führung schloss 1953 mit einer bewusst vagen Formulierung: "Die Klärung der Entschädigungsfragen, die sich aus dem von Deutschland begangenen Kriegskatastrophen begründen, werden bis hin zur endgültigen Lösung des Reparationsproblems aufgeschoben“ (Londoner Abkommen). Die Verfasser dieses Vertrages verständigten sich im Wesentlichen auf die unbestimmte Vertagung der Entschädigungszahlungen an die fordernden europäischen Staaten bis zum Abschluss eines Friedensvertrages. Bonn nutzte die Ergebnisse aus diesem Abkommen über Jahrzehnte für sich. Das bewusste Weglassen einer genauen Zeitpunktnennung erleichterte eine willkürliche Interpretation gegenüber den Betroffenen. Infolgedessen konnten die Bonner Vertreter leichtfertig auf die Londoner Beschlüsse verweisen, wenn es griechische (oder andere) Partner wagten, die offenen Restitutionsansprüche anzusprechen.
3) Mit der deutschen Wiedervereinigung löst der Zwei-Plus-Vier-Vertrag 1990 das Londoner Abkommen ab. Die deutsche Bundesregierung versuchte die Bezeichnung des Abkommens als „Friedensvertrag“ zu verhindern, da man ansonsten Entschädigungsforderungen von bis zu 50 Ländern fürchtete. Die Ergebnisse des Zwei-Plus-Vier-Vertrages wurden im Oktober 1990 den Staaten der KSZE vorgelegt, zu denen auch Griechenland gehörte. In der Paris-Charta wurde der Vertrag am 21. November 1990 mit „großer Genugtuung zur Kenntnis“ genommen. Da die Entschädigungs- und Reparationsfrage jedoch im Zwei-Plus-Vier-Vertrag keinerlei Erwähnung fand, ist der Verweis der Bundesregierung auf die abschließende Klärung mit Zustandekommen des Vertrages umstritten (siehe auch Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages WD 2 - 066/19 Griechische und deutsche Reparationsforderungen gegen Deutschland).
4) Ein weiteres wichtiges Abkommen, welches die Verpflichtungen Deutschlands in Bezug auf Entschädigungszahlungen festlegte, ist das Abkommen von 1960 mit Griechenland im Rahmen der von Deutschland geschlossenen bilateralen Wiedergutmachungsabkommen. Westdeutschland verpflichtete sich, der griechischen Regierung die Summe von 115 Millionen Mark zugunsten der begünstigten Bürger zu zahlen. Die Zahlung der Beträge kann nicht als Zahlung von Kriegsentschädigungen ausgelegt werden. Diese Beträge wurden lediglich an „aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffene[n Staatsangehörige]n“ gezahlt, wodurch nur ein begrenzter Personenkreis entschädigt wurde.
II. Folgende Zahlen gelten als Grundlage für die heutige Debatte:
Der Sonderkommission des Obersten Rechnungshofes von Griechenland zufolge
A) belaufen sich die griechischen Forderungen gegenüber Deutschland aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg auf:
1) 7.811 Millionen Dollar (1938) für Schäden am griechischen Staatseigentum und griechischen Privatpersonen. Darin enthalten sind Forderungen ehemaliger griechischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in deutsche KZs deportiert worden waren.
2) 135,8 Millionen Dollar (1947) für die Rückgabe der Zwangsanleihe durch das Dritte Reich an die griechische Nationalbank, gemäß des Kreditvertrages von 1943.
3) 263 Millionen Dollar (1972). Weitere nicht gezahlte Reparationsforderungen aus dem Ersten Weltkrieg.
B) wurden von Deutschland folgende Zahlungen getätigt:
1) 20 Millionen Dollar, die Griechenland anteilsmäßig an Demontagegütern im Rahmen der Alliiertenkonferenz von Paris 1946 zugesprochen wurden.
2) 115 Millionen D-Mark im Rahmen des bilateralen Vertrages der BRD mit Griechenland „aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffene[n Staatsangehörige]n“ (1960).
3) 4,8 Millionen D-Mark als Kompensation für beschlagnahmten Tabak durch die Besatzungsbehörden (1961).
Griechenland unternahm eine Vielzahl von Schritten, um die von Deutschland geforderten Entschädigungen geltend zu machen. Einige wichtige davon seien im Folgenden erwähnt.
Die Absicht der deutschen Bundesregierung, Entschädigungszahlungen auf staatlicher oder privater Ebene zu verhindern, ist dabei offensichtlich.
A) In einem Urteil des Amtsgericht der griechischen Stadt Livadia wurde 1997 die Bundesrepublik zur Zahlung von 23.279.193,67 Euro zuzüglich des rechtmäßigen Zinssatzes beginnend mit dem Tage des Verfahrens am 27.11.1995 aufgefordert. Dem Urteil vorausgegangen war die Klage von 258 Nachfahren der Distomo-Opfer gegen den deutschen Staat auf die „Entschädigung und finanzielle Wiedergutmachung für die von deutschen Soldaten während der Besatzung in Griechenland verübten Gewalttaten“. Dieses Urteil war von herausragender Bedeutung, da zum ersten Mal eine Entschädigungssumme von einem griechischen Gericht beziffert wurde und dadurch die Möglichkeit für weitere Forderungen auch von anderen Opfergruppen der Naziherrschaft geschaffen wurde.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Reaktion der Bundesregierung, als das Urteilsschreiben dem beklagten deutschen Staat zugestellt wurde. Am 14. Februar 1998 wies das Auswärtige Amt das Urteil mit der Begründung zurück, dass es die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und somit das Völkerrecht missachte. Der deutsche Staat berief sich dabei auf den Grundsatz des Territorialitätsprinzips, wonach Staaten nicht vor Gerichten anderer Staaten für ihr hoheitliches Handeln verklagt werden können. Das griechische Gericht widersprach dieser Einschätzung jedoch mit dem Hinweis, da durch das Urteil der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesse die Staatensouveränität nicht mehr anzuwenden sei, wenn es sich um Straftaten oder Verbrechen handele, die gegen das Völkerrecht verstoßen. Durch die Berufungsklage der deutschen Bundesregierung gegen das Urteil des Amtsgerichts Livadia (1999) kam die Angelegenheit schrittweise vor den griechischen Obersten Gerichtshof, dem Areopag. Nach dessen Urteil im November 2000 versuchten die Kläger – Angehörige der Opfer und Überlebende des Massakers von Distomo – im Rahmen der Zuständigkeit der griechischen Gerichtsbarkeit für Entschädigungsansprüche gegenüber dem deutschen Staat, die Pfändung deutschen Eigentums in Athen durchzusetzen. Für die vollständige Anwendung des Artikels 923 des Zivilprozessrechts bedurfte es jedoch einer Genehmigung des Justizministers. Am 20. Dezember 2000 wurde ein entsprechendes Schreiben von den Hinterbliebenen des Massakers von Distomo beim damaligen Justizminister Stathopoulos eingereicht, in dem sie die Eintragung einer Hypothek auf deutschen Immobilienbesitz zur Absicherung ihrer Forderungen beantragten. Der Justizminister verweigerte jedoch die Zustimmung mit Verweis auf das Gesetz Nr. 4678/10/1/2001: „Wir stimmen nicht zu, dass einstweilige Maßnahmen gegen den deutschen Staat ergriffen werden, da es diesem an finanzieller Solvenz nicht mangelt.“
Unter Berufung auf die Verordnung Nr. 44/2001 des Europäischen Rates beantragten die Kläger daher im Jahr 2004 vor italienischen Gerichten die Vollstreckung des griechischen Gerichtsurteils, wodurch die Pfändung deutschen Eigentums in Italien möglich geworden wäre. Nachdem die italienischen Gerichte (Oberster Kassationsgerichtshof in Rom, Berufungsgericht in Florenz) die Vollstreckbarkeit des Urteils bestätigten und die Staatenimmunität in diesem Fall für nicht anwendbar erachteten, einigten sich die Regierungen Deutschlands und Italiens darauf, die Streitfrage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu tragen.
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag wies das italienische Urteil mit der umstrittenen Begründung zurück, wonach kein Normkonflikt zwischen den ius cogens Regeln des Kriegsrechts und der Staatenimmunität bestünde. Der Mehrheitsmeinung zufolge sind die ius cogens Regeln des Kriegsrechts, gegen die Deutschland verstoßen hat, ein existenzielles Phänomen, während es sich bei der Staatenimmunität, welche die Urteilsvollstreckung verhinderte, um eine prozessuale Einrichtung handelt. Nach Ansicht des IGH widersprechen die Gültigkeit der Staatenimmunität und die gleichzeitige Abweisung der Klage durch die Opfer als „unzulässig“ nicht dem ius cogens. Der IGH verwies auf andere Verfahren der Streitbeilegung, wie z.B. über diplomatische Verhandlungen, ein Schiedsverfahren oder die internationale Gerichtsbarkeit. Es ist eindeutig, dass der „Fall Distomo“ trotz seines komplexen und langwierigen Verfahrens bis heute juristisch nicht abgeschlossen ist.
B) Während des Zeitraums, in dem die Bewohner von Distomo in erster Instanz vor dem Gericht von Livadia (1995 - 1997) Klage gegen den deutschen Staat erhoben, forderten Argyris Sfountouris und seine Schwestern Chrysoula, Astero und Kondylia Sfountouris vor den deutschen Gerichten (Gericht erster Instanz von Bonn) Entschädigung von der Bundesrepublik Deutschland. Als die Klage abgewiesen wurde, wandten sie sich nacheinander an das Oberlandesgericht Köln und den Bundesgerichtshof. Im Jahr 2003 erkannte der Bundesgerichtshof in Karlsruhe erstmalig an, dass es sich beim Distomo-Massaker um eines der abscheulichsten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkrieges handele. Es lehnte den Antrag auf Entschädigung jedoch mit der Begründung ab, dass eine solche Entschädigung nicht den Opfern einer solchen Straftat, sondern nur ihrem Heimatland zustünde. Die Familie Sfountouris legte daraufhin Berufung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein. Das Gericht lehnte den Antrag auf Entschädigung mit Verweis auf internationale Konventionen ebenfalls ab (Juli 2011) und betonte, dass 1944 kein bilaterales Abkommen zwischen Griechenland und Deutschland zu diesem Thema abgeschlossen worden war.
C) Die griechische Regierung hat die Bundesregierung mit einer Verbalnote am 4.6.2019 aufgefordert, in Verhandlungen über die Begleichung aller bestehenden Forderungen zu treten. Das Auswärtige Amt überreichte im Oktober 2019 daraufhin dem griechischen Botschafter in Berlin, Theodoros Daskarolis, eine diplomatische Note mit der Zurückweisung des griechischen Antrages.
D) In einem Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages (WD 2 - 066/19 Griechische und deutsche Reparationsforderungen gegen Deutschland) wird angezweifelt, dass die deutsche Position – die strikte Weigerung zur Zahlung von Reparationen - im Einklang mit dem Völkerrecht steht. Im Bericht des wissenschaftlichen Dienstes wird argumentiert, dass auf der Grundlage des Völkerrechts nicht festgestellt werden kann, dass die griechischen Forderungen in Bezug auf Reparationen und die Zwangansleihe verjährt seien. Ferner heißt es, die „Position der Bundesregierung ist völkerrechtlich vertretbar, aber keineswegs zwingend“.
Der Bericht erwähnt auch auf die regelmäßigen Verbalnoten der griechischen Regierungen, die deutlich gemacht haben, dass die Frage der Reparationen offen bleibt und gelöst werden muss.
Nach unserer Einschätzung stellen die Entschädigungs- und Reparationsforderungen für Griechenland eine gewichtige nationale Angelegenheit dar. Die Auseinandersetzung mit einem solch hochaktuellen Thema, dem moralischen und rechtlichen Anspruch auf Wiedergutmachung, soll Brücken des gegenseitigen Verständnisses zwischen Griechenland und Deutschland schaffen, indem sie auf dem Zusammenhang von historischer Wahrheit und historischer Gerechtigkeit im Sinne von Eingeständnis – Reue –Wiedergutmachung – Versöhnung beruht.
Letzte Aktualisierung: 10.05.2021