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Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland

1. Allgemeine Fragen zum Projekt

Das Projekt „Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland“ (MOG) setzt sich zusammen aus der Webseite, dem digitalen Interview-Archiv und der Bildungsplattform.

Die Webseite führt in die Projektinhalte und -ziele ein und beinhaltet nützliche Informationen zum Archiv, der Bildungsplattform sowie zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs und Oral History als Methode. Das Archiv enthält 93 Videointerviews (darunter mit Rosina Asher Pardo, Alki Zei, Titos Patrikios, Manolis Glezos, Argyris Sfountouris und Karolos Papoulias) in griechischer Sprache und mit deutschen Übersetzungen. Die Bildungsplattform besteht aus mehreren Lehreinheiten (Kindheit, Konzentrationslager, Widerstand, Hunger, Kriegsverbrechen), in denen die gekürzten Videointerviews aus dem Archiv mit Aufgabenstellungen sowie ergänzenden Unterrichtsmaterialien versehen wurden.

Auslöser für die Idee, ein neues Zeitzeugenarchiv über die Zeit des nationalsozialistischen Schreckens in Griechenland aufzubauen, war die Begegnung von Herrn Nicolas Apostolopoulos, einem griechischen Professor in Deutschland, mit Herrn Hagen Fleischer, einem deutschen Professor an der Nationalen und Kapodistrias Universität Athen, der als einer der wichtigsten Experten der Erforschung der deutschen Okkupation in Griechenland gilt. Hagen Fleischer besuchte mit einem Studierendenteam im Jahr 2010 das Center für Digitale Systeme (CeDiS), welches damals bereits Zugriff auf das Shoah Archiv bot. Dabei wuchs die Erkenntnis, dass eine ähnliche Initiative mit griechischen Zeitzeugeninterviews in Griechenland auf fruchtbaren wissenschaftlichen Boden stoßen könnte. In der Erinnerungskultur Griechenlands ist die deutsche Okkupation überaus präsent, im Detail jedoch wenig bekannt. Gleichzeitig war und ist das Forschungsinteresse für diese Geschichtsperiode groß. Die Möglichkeit, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs persönlich zu begegnen und somit unmittelbar an ihren Erinnerungen teilzuhaben, schwindet jedoch von Tag zu Tag. Diese Tatsache erhöhte die Dringlichkeit und die Bedeutung für das Zustandekommen des Projekts.

Ausschlaggebend für die Initiierung war jedoch eine entsprechende Finanzierung. Der Ausbruch der griechischen Wirtschaftskrise und der schärfer werdende Ton in den deutsch-griechischen Beziehungen in den ersten Jahren danach überschatteten die Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten. Durch den Einsatz wichtiger politischer Akteure, darunter der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck sowie Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, wurde die Finanzierung des Projekts durch den deutsch-griechischen Zukunftsfonds anteilsmäßig gesichert. Das Vorhaben wurde ferner mitfinanziert von der griechischen Stavros Niarchos Foundation, der deutschen Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft sowie der Freien Universität Berlin. Kooperationspartner ist die Nationale Kapodistrias-Universität Athen.

Kernbestandteil des Archivs sind die 93 lebensgeschichtlichen Interviews mit griechischen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der deutschen Besatzung. Die Videointerviews wurden dabei weder in Hinblick auf ihren Inhalt, noch auf ihre Dauer (teils bis zu acht Stunden lang) überarbeitet. Die Interviews orientierten sich an der lebensgeschichtlichen Methode, bei der die Interviewten möglichst frei von ihrem gesamten Leben erzählen sollten und nicht auf einen vorgefertigten Fragenkatalog antworteten. Das Archiv wird ergänzt durch einen umfangreichen Thesaurus, persönliche Fotos, Karten mit den Lebensstationen der Zeitzeugen sowie Kontextinformationen zu jedem Interview.

Das Archiv, welches zusätzlich zu den Interviews mit Schlagworten, historischen Hintergrundinformationen, persönlichen Fotos, Informationen zum Interview, Karten mit den wichtigsten Lebensstationen und einem umfangreichen Thesaurus angereichert ist, eignet sich für eine Vielzahl von Nutzungsbereichen, darunter in der Wissenschaft und Forschung sowie in der Bildung. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges kann das Archiv für unterschiedlichen Bildungsstufen herangezogen werden, während die Bildungsplattform in ihrer Form als digitales Medium zum Thema Oral History einen besonderen Stellenwert im Geschichtsunterricht einnehmen kann. Außerdem besteht die Möglichkeit zur Nutzung des Archivs als immaterieller Bestandteil der Erinnerungskultur im Rahmen von Kultur- und Gedenkveranstaltungen sowie (Dauer-)Ausstellungen in Gedenkstätten und Museen.

Die Sammlung von Archivmaterial gilt seit Dezember 2018 als abgeschlossen. Alle Interviews des Archivs erfüllen festgelegte wissenschaftliche Kriterien, welche bei der Aufnahme der Interviews über die Transkription und Übersetzung bis hin zur wissenschaftlichen Erschließung berücksichtigt wurden. Die restlichen Archivbestandteile, wie der Thesaurus und das historische Kontextmaterial, beziehen sich in konsistenter Weise auf die Interviews. Die Aufnahme und wissenschaftliche Erschließungweiterer Interviews ist derzeit nicht vorgesehen, da dies auch eine entsprechende Finanzierung voraussetzt. Bereits bestehende Interviews und Zusatzmaterialien können aber unter Umständen im Archiv integriert werden, sofern sie die notwendigen wissenschaftlichen Kriterien erfüllen.

Oral History ist eine interpretierende, historiographische Methode zur wissenschaftlichen Bearbeitung mündlicher Quellen. In den letzten Jahren haben Forscher*innen in den Sozialwissenschaften ihre Aufmerksamkeit auf das Studium von Oral History gerichtet, die sich als ein sich entwickelndes und lebhaftes interdisziplinäres Feld auffächert. Dies wird durch die Bildung von Gruppen deutlich, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Dynamik gelebter Zeugnisse in Nachbarschaften und Städten in Griechenland zu erforschen. Erst im letzten Jahrzehnt hat man damit begonnen, Oral History und Biographieforschung in die Lehrpläne der griechischen Universitäten zu integrieren. Wie Riki Van Booshoten sagt, beleuchten Zeitzeugenberichte Tabuthemen, die aus dem kollektiven Gedächtnis und aus schriftlichen Quellen ausgegrenzt wurden. Zum Beispiel hätten die Schrecken des Holocausts ohne den Beitrag mündlicher Zeugnisse nicht als solche an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden können.

In der akademischen Geschichtsschreibung gibt es berechtigte Vorbehalte gegenüber der mündlichen Überlieferung, die sich auf die fragmentarische, selektive und unsichere Natur der Erinnerung der Zeugen sowie auf das starke Element der Subjektivität in ihren Berichten beziehen. Das Ziel von Oral History ist es jedoch nicht, archivalische Quellen zu verifizieren oder zu widerlegen, sondern als historisches Werkzeug eingesetzt zu werden, um sie zu ergänzen und dem Archivmaterial der Zeit eine zusätzliche Dimension zu verleihen.

Weitere Informationen sowie Literatur zu Oral History finden Sie auf unserer Webseite.

Die digitale Bildungsplattform „Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland“ orientiert sich am Vorbild ähnlicher digitaler Plattformen, die vom Center für Digitale Systeme (CeDiS) der Freien Universität Berlin entwickelt wurden und im Schulunterricht in Deutschland, Polen, Tschechien und Russland eingesetzt werden.

Im Rahmen des Projekts wurden zwei Bildungsplattformen entwickelt: eine für den jeweiligen Geschichtsunterricht in griechischer bzw. deutscher Sprache. Die Auswahl der ergänzenden Unterrichtsmaterialien (Fotos, Hintergrundtexte, historische Dokumente, Zeitungsartikel) unterscheidet sich dabei auf beiden Plattformen, was auf die Unterschiede in den Bildungssystemen sowie der Quellenverfügbarkeit in beiden Ländern als auch auf das unterschiedliche Vorwissen von LehrerInnen sowie SchülerInnen zurückzuführen ist.

Im Kern möchte das Projekt durch die Verbreitung und Nutzung der Bildungsplattform an deutsch- und griechischsprachigen Schulen der Wissenschafts- und Bildungsgemeinschaft ein digitales Tool zur Verfügung stellen, welches die Methode der Oral History unterstützt und kritisches Denken fördern soll. Das Archiv und die Bildungsplattform sind darüber hinaus ein wichtiger Beitrag zur deutsch-griechischen Erinnerungskultur, da sie auch deutschen SchülerInnen und Jugendlichen ein weitgehend unbekanntes Kapitel deutsch-griechischer Geschichte in zeitgemäßer digitaler Weise näherbringt. Die Bildungsplattform regt die Vermittlung von erlebter Geschichte an, die im Unterricht oftmals hinter Zahlen und Fakten zurückbleibt. Auch Themenfelder wie „Kriegsalltag“ oder „Zwangsarbeit“, die im Unterricht seltener Berücksichtigung finden, können durch die Plattform erschlossen werden. Das Bildungsmaterial wird immer durch Hinweise der Autorinnen ergänzt, in denen Nutzungsmöglichkeiten im Unterricht aufgezeigt und die Vor- und Nachteile von Oral History erläutert werden.

Das Bildungsmaterial wurde kürzlich fertiggestellt und die Verbreitung an den Schulen in Griechenland und Deutschland befindet sich in der Vorbereitung. Die Plattform wurde bereits erfolgreich an der Deutschen Schule Athen und der Fritz-Karsen-Schule Berlin erprobt. Für das Jahr 2021 ist eine intensivierte Zusammenarbeit mit den Schulen vorgesehen. Die Bildungsplattform wird mit ähnlicher Struktur, pädagogischem Konzept sowie vergleichbaren Inhalten zum Thema Zweiter Weltkrieg und Oral History bereits erfolgreich in Deutschland und Tschechien (seit 2016), Russland (seit 2017) und Polen (seit 2019) genutzt.

Die Erstellung des Bildungsmaterials durchlief mehrere Stufen, zu denen auch die Erprobung im Schulunterricht in Deutschland und Griechenland zählte. Da es sich bei der digitalen Plattform „Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland“ um ein lebendiges und anpassungsfähiges System handelt, bietet jede Anwendung im Unterricht eine Gelegenheit zur internen Evaluation des Materials und seiner stetigen Optimierung. Für das Jahr 2021 ist die Durchführung einer Reihe von Online- und Präsenz-Workshops für Lehrkräfte sowie SchülerInnen vorgesehen, die von einer Evaluation der Plattform begleitet werden.

Im Jahr 2021 legte das Projekt dem Ministerium das gesamte Werk als ergänzendes digitales Instrument zum Erlernen der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der Besatzung in Griechenland zur Genehmigung vor. Da das gesamte Projekt Teile enthält, die im Laufe eines Schuljahres geändert werden können, werden die Teile der Bildungsplattform und des Archivs, die unverändert bleiben, erneut zur Genehmigung vorgelegt.

Das Material dient als Ergänzung für den Unterricht mit lebensgeschichtlichen Zeugnissen sowie Fragestellungen zu Erinnerungskultur. Vernachlässigte Themenfelder der Geschichte, auch auf lokaler Ebene, können damit ausgeleuchtet werden und SchülerInnen als Anstoß dienen, sich u.a. mit Oral History und der Geschichtslehre mit Hilfe digitaler Tools zu befassen.

Das Projekt unterstützt ausdrücklich jegliche Initiative in diese Richtung. Im Falle, dass Sie an der Konzeption und Erstellung weiterer Lehreinheiten interessiert sind, wenden Sie sich bitte an das Projektteam unter info@occupation-memories.org.

Detaillierte Anwendungsvorschläge für die jeweiligen Lehreinheiten finden sich in den Einführungstexten, abrufbar sowohl auf der Bildungsplattform als auch hier (mit Kompetenztabellen zum Download). Eine ausführliche Handreichung für Lehrkräfte, die auch die didaktische Nutzbarmachung des Interview-Archivs erläutert, ist bislang nur in griechischer Sprache verfügbar. Sollten Sie das Archiv und die Bildungsplattform für Ihre Bildungszwecke einsetzen wollen, berät und unterstützt sie auch gerne das Projektteam (siehe Kontakt). 

Das Projekt setzt sich mit der deutschen Okkupation Griechenlands auseinander und wird vom Auswärtigen Amt gefördert. Vor dem Hintergrund der Debatte um Entschädigungs- und Reparationsforderungen gegenüber Deutschland wurde in manchen griechischen Medien dem Projekt eine politische Absicht unterstellt. Welches sind die Hintergründe?


Das Projekt „Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland“ wurde überwiegend vom Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds des Auswärtigen Amtes, aber auch von der griechischen Stavros-Niarchos-Stiftung und der deutschen Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ (EVZ) gefördert. Die Initiative, ein Interviewarchiv mit griechischen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der deutschen Besatzungsherrschaft aufzubauen und entsprechendes Bildungsmaterial zu erstellen, basiert auf der Zusammenarbeit von Prof. Nicolas Apostolopoulos (FU Berlin) und Prof. Hagen Fleischer (Nationale und Kapodistrias-Universität Athen) und stammt aus dem Jahr 2011. Der Deutsch-Griechische Zukunftsfonds, der unter anderem wissenschaftliche Projekte zur Aufarbeitung der deutschen Besatzung Griechenlands fördert, wurde erst im Jahr 2015 ins Leben gerufen. Somit bot der Zukunftsfonds die letzte Möglichkeit, die Stimmen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen – viele von ihnen Opfer deutscher Kriegsverbrechen oder ehemalige KZ-Insassen – für die Nachwelt zu bewahren.

Als wissenschaftliches Projekt, welches an der Freien Universität Berlin angesiedelt ist, wurde auf strikte Einhaltung wissenschaftlicher Methoden und Qualitätskriterien durch anerkannte deutsche und griechische HistorikerInnen und GeschichtsdidaktikerInnen geachtet. Das entwickelte Archiv und die Bildungsplattform stehen HistorikerInnen und PädagogInnen beider Länder gleichermaßen zur Forschungs- und Bildungszwecken zur Verfügung.

Im Zuge des Projekts fanden und finden zahlreiche Aktivitäten und Veranstaltungen statt, welche der Präsentation und Bekanntmachung der Arbeiten dienen und die sich an ein breites Publikum richten. An diesen öffentlichen Veranstaltungen nehmen überwiegend Personen aus Wissenschaft und Praxis mit den Schwerpunkten (digitale) Geschichte, Geschichtsdidaktik, Erinnerungskultur sowie Oral History teil. Vertreter aus der Politik sowie aus den Förderinstitutionen und dem Zeitgeschehen werden ebenfalls eingeladen. Damit soll neben dem wissenschaftlichen Diskurs auch der politische Dialog beider Länder bei der Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte gestärkt werden.

Das Material des Archivs „Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland“ wurde mit der Methode der Oral History gesammelt, wobei die Interviews der biografisch-narrativen Methode folgen. Die Zeitzeug*innen erzählen frei von ihren Erinnerungen an die Besatzungszeit in Griechenland.

Dieses Material bildete die Grundlage der Bildungsplattform, daher ist die Plattform selbst eine Oral History-Plattform und als solche trägt das Material alle Vor- und Nachteile der Oral History als Methode der Geschichtsschreibung.

Einerseits fördert es die Darstellung einer „Geschichte von unten“, durch die Erfahrungsberichte der Opfer der Nazi-Besatzung kommen die Schüler in Kontakt mit Primärmaterial, kultivieren ihr Einfühlungsvermögen und entdecken unterbeleuchtete Aspekte der Geschichte zu Themen wie „Widerstand“, „Holocaust“, „Konzentrationslager“, „Kriegsverbrechen (in Form von Vergeltungsmaßnahmen und Massaker)“, „Hunger“, „Kriegsalltag“. Andererseits setzen die Subjektivität der Erzählungen und die mehrfach vermittelte Erinnerung des Erzählers den Rückschlüssen der Schüler*innen bestimmte Grenzen.

Die Beschäftigung mit Oral History gibt den Schüler*innen die Rolle des Forschers und schärft ihr kritisches Denken, immer unter Leitung der Lehrperson. Das auf der Bildungsplattform verfügbare Zusatzmaterial (Dokumente wie Fotos, Texte) stellt den historischen Kontext immer wieder her. Schließlich kann das Lehrerhandbuch (in griechischer Sprache) den Lehrenden bei der Vorbereitung der Einheit und der Einführung in den historischen Kontext behilflich sein.